“Wie kannst du deinen Kindern so etwas nur antun?”
“Es ist verantwortungslos, sie allein zu lassen.”
“Du Rabenmutter.”
Deutschland ist ein modernes, fortschrittliches Land, könnte man denken. Doch für viele Menschen fühlt sich das nicht so an. Frauen können in vielen Fällen das erreichen, was sie wollen – bis sie ein Kind bekommen. Ab da sehen sie sich einer Vielzahl von Fragen ausgesetzt: Soll ich wieder arbeiten gehen? Und wenn ja, ab wann? Soll mein Kind schon mit einem Jahr in die Kita kommen? Erst später? Oder gar nicht? Und vor allem: Was werden die anderen von mir denken? Bin ich eine schlechte Mutter?
Veraltetes Bild, wie eine Mutter sich zu verhalten hat sogar die “New York Times” stellte kürzlich fest, dass Deutschland ein merkwürdiges Verhältnis zu arbeitenden Müttern habe. Das zeige sich schon in der Sprache: Ausdrücke wie “Rabenmutter” gebe es in anderen Ländern nicht.
Wie rückständig Deutschland ist, zeigen auch die Erfahrungen, über die zehn Mütter in der HuffPost berichten. Einige wollten früher als andere in den Job zurückkehren. Andere beschlossen, diesen Schritt aus finanziellen Gründen zu gehen. Wieder andere mussten sich dafür kritisieren lassen, dass sie überhaupt arbeiten. Und einige entsprechen aus anderen Gründen nicht dem Klischee der perfekten Mutter. Allen gemeinsam ist: Was diese Mütter erlebten, löst Kopfschütteln aus. Das sind ihre Geschichten.
Susanne Sippl hat sich für den extremen Weg entschieden: Sie ist bereits acht Wochen nach der Geburt ihres Kindes in ihren Job zurückgekehrt. Der Grund: Mit dem Sanitätshaus leitet sie ein mittelgroßes Unternehmen, während ihrer Abwesenheit eine zweite Führungskraft einzustellen, war nicht möglich. “Und den Betrieb zu lange herrenlos zu lassen, wäre fatal gewesen”, sagt sie.
Seitdem muss sie sich jeden Tag feindselige Kommentare anhören. “Ich hätte nie gedacht, dass Mütter untereinander so grausam sein können”, sagt die Unternehmerin. “Am meisten verletzen mich Bemerkungen wie ‘Naja, dann brauchst du ja gar keine Kinder kriegen’. Das kränkt mich sehr.” Als Mutter habe man immer ein schlechtes Gewissen, egal für welchen Weg man sich entscheide. “Und solche Sätze treffen genau den wunden Punkt – bei jeder Mutter.”
Die Flugbegleiterin Sandra Dibbern bekam ihre Tochter mit 31 Jahren. Nach zwei Jahren kehrte sie in den Job zurück – in Teilzeit. Aus finanziellen Gründen, aber auch, weil sie ihren Job mochte. “Doch plötzlich musste ich mir viele seltsame Kommentare anhören”, erinnert sie sich. “Wie kannst du nur diesen Job machen?”, sagten ihre Bekannten zu ihr. “Du musst doch bei deinem Kind sein? Wenn etwas passiert, sitzt du gerade im Flugzeug und kannst nicht zu deiner Tochter.”
Dass es auch noch den Vater gab und seine Familie sogar in der Nähe wohnte, habe niemanden interessiert, sagt sie. “Ich war der Buhmann.” Inzwischen ist Sandra Dibbern alleinerziehend und die Vorwürfe sind nicht weniger geworden. “Viele Bekannte schütteln den Kopf, weil ich mich als Mutter von meinem Mann getrennt habe. Sätze wie ‘Du musst doch die Familie zusammen halten’ höre ich oft.” Ihre Antwort darauf: “Nein, das muss ich nicht.”
“Ich will nicht nur Hausfrau und Mutter sein, sondern auch eine erfolgreiche Frau”, sagt sie. Das aber sei in unserer Gesellschaft immer noch verpönt, findet die 44-Jährige. “Eigentlich leben wir wie in der Steinzeit – der Mann geht jagen und die Frau hütet die Familie. Das muss sich ändern. Wir Frauen müssen uns einfach stärker machen. Denn emanzipiert sind wir noch lange nicht.”
Ähnlich die Geschichte von Stephanie Leienbach. Die 37-Jährige muss sich vorwurfsvolle Blicke gefallen lassen, seit sie ihr Kind mit eineinhalb Jahren in die Kita gegeben hat. “Bei jedem Kaffeeklatsch wurde ich mitleidig gefragt, ob ich denn ‘wieder so viel gearbeitet’ hätte und wie ‘das Kind das denn verkrafte'”, sagt sie. Irgendwann sei sie das leid gewesen und habe diese Unterhaltungen gemieden. “Ich hab immer gearbeitet, seit ich 19 Jahre alt war, und mir fehlte einfach der Austausch mit den Kollegen.”
Ihre Tochter ist heute viereinhalb Jahre alt. Geschadet habe ihr die Berufstätigkeit ihrer Mutter nicht, ist Stephanie Leienbach sicher. “Sie hat sich hervorragend entwickelt, hat keine Bindungsprobleme, geht gerne in die Kita.” Und auch sie selbst ist zufrieden. “Ich bin ausgeglichen und genieße die Zeit als Mutter genauso wie die Zeit als selbstständige Geschäftsfrau. Eine Rabenmutter bin ich in den Augen der anderen dennoch.”
Als Katie Ritson für zwei Monate beruflich nach Norwegen ging und die Kinder (damals drei und sechs Jahre alt) bei ihrem Mann ließ, fingen die Vorwürfe an. “Was mich fast mehr nervt als die Anschuldigung, dass ich meine Kinder nicht genug liebe, mich nicht genug für sie aufopfere, ist die gleichzeitige Entwertung der Erziehungsarbeit meines Mannes”, sagt sie. “Ich lasse meine Kinder nicht allein, sondern bei einem anderen gleichwertigen Elternteil, der sie ebenfalls bedingungslos liebt und sich um sie kümmert.”
Die Unimitarbeiterin findet: Kinderfragen werden immer noch viel zu stark in Bezug auf ihre Mütter diskutiert und nicht in Bezug auf ihre Eltern.
Wenn Marsha Kömpel ihre Söhne von der Kita abholte, bekam sie Sprüche zu hören wie “Ach der Kleine, das muss doch nicht sein”. Ihre Kinder sind heute drei und sieben Jahre alt, beide hat sie mit 15 Monaten in Betreuung gegeben. “Für mich wäre das Mamaleben zu einseitig und langweilig”, sagt sie. “Ich brauche auch ‘echte’ Menschen um mich herum. Menschen, mit denen ich über andere Sachen als über Kinder sprechen kann.”
Die 36-Jährige beobachtet in ihrem Umfeld einen Trend: “Viele Frauen kündigen ihre Jobs und wollen wieder Vollzeitmutter sein.” Der Grund? Sie glaubt, dass manche Mütter der Mehrfachbelastung nicht gewachsen sind. “Haushalt und Co. bleiben meistens an uns hängen. Das kann dann schon ziemlich anstrengend werden.” Sie will trotzdem weiter arbeiten. “Mein Mann ist ja auch noch da. Außerdem sehen meine Jungs dann, dass zum Elternsein zwei Menschen gehören – Mutter und Vater.”
Lydia Zoubeks Fall ist ein bisschen spezieller als bei den meisten anderen Müttern. “Ich bin blind. Und ich bin Mutter. Für viele Menschen passt das nicht zusammen. Und nicht nur das: Ich bin blind, ich bin Mutter und ich arbeite.” Spätestens jetzt seien die meisten Menschen fassungslos, sagt sie. “Wie kann die nur?”, empörten sie sich. “Als blinde Frau Kinder in die Welt setzen und sie dann auch noch allein lassen?”
Doch für Lydia Zoubek kam nie in Frage, ihren Job im Telefonmarketing aufzugeben. “Ich bin sehr früh wieder arbeiten gegangen. Als meine Tochter ein Jahr alt war, wurde sie von einer Tagesmutter betreut.” Oft habe sie Kommentare zu hören bekommen wie “Du hast doch nicht Kinder in die Welt gesetzt, damit du sie gleich wieder irgendwo abstellst”, erzählt sie.
“Ich habe das Gefühl, dass die arbeitende Frau, die arbeitende Mutter immer noch nicht in der Gesellschaft angekommen ist. Juristisch gesehen sind wir emanzipiert, aber in den Köpfen der Menschen ist das noch nicht verankert.”
Yvonne Lesner bekommt Gegenwind vor allem von anderen Müttern – aus der Krabbelgruppe zum Beispiel. “Sie finden es seltsam, dass ich arbeite, obwohl mein Kind nicht in die Krippe geht. Sie fragen sich, wie das kindgerecht funktionieren kann.” Dabei passt seine Großmutter auf den Kleinen auf, wenn seine Mutter arbeitet. “Ich bekomme ständig blöde Kommentare zu hören nach dem Motto: Wenn mein Sohn schon nicht in die Krippe geht, solle ich mich doch bitte auch 100 Prozent um ihn kümmern.”
Yvonne Lesner findet, dass die Deutschen sehr hinterwäldlerisch denken. “Insgeheim vertritt man immer noch die Meinung: Mutter bleibt zu Hause, sorgt für das Kind und steht hinter dem Herd. Unsere Gesellschaft muss gegenüber Müttern, die früh oder viel arbeiten, viel offener sein.”
Credit: Anna Gladkova
Christine Finke ist für viele ein Feindbild, die ein klassisches Familienbild propagieren. Sie ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern, berufstätig und noch dazu politisch aktiv. Sie glaubt, dass man als Mutter sowieso nur alles falsch machen kann. “Erst bekommst du zum falschen Zeitpunkt Kinder, dann gehst du zum falschen Zeitpunkt wieder arbeiten, und dein Erziehungsstil wird wahlweise mit Rabenmutter oder Helikoptermama kritisiert.”
Da sei es nur konsequent, dass Alleinerziehende erst recht nichts richtig machen können. “Die haben ja schon durch die bloße Trennung versagt: Wenn sie verlassen wurden, konnten sie den Mann nicht halten, wenn sie ihn selbst verließen, war das eine leichtfertige, egoistische Entscheidung, und egal, wie viel Mühe sie sich geben, an ihnen und den Kindern klebt immer noch ein Makel.”
Bei Tanja Bräutigam sieht das Ganze völlig anders aus. Auch sie entspricht nicht dem Bild der perfekten Mutter – doch aus einem ganz anderen Grund. Als ihre beiden Kinder klein waren, hatte sie einen Burn-out. Vorher war sie finanziell unabhängig gewesen, hatte für die Kinder aber ihren Job aufgegeben. Ihr Mann war beruflich viel unterwegs, sie fühlte sich allein gelassen. “Ich konnte nicht mehr schlafen, bekam Panikanfälle”, erinnert sie sich. “Ich begann eine Therapie und war fünf Wochen von meinen Kindern getrennt. Ich fühlte mich wie eine Rabenmutter.”
Die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen und Mütter hätten bei ihrem Zusammenbruch eine große Rolle gespielt, da ist sie sicher. “Man bekommt häufig gerade von der älteren Generation zu hören ‘Mein Mann hat auch nie was getan, wir mussten unsere Kinder schon um zwölf aus dem Kindergarten holen und haben das doch auch alles geschafft’.”
Die Älteren könnten oft nicht nachvollziehen, wie viel mehr die jüngere Generation zu stemmen habe. “Studium, in einen Beruf hineinfinden, finanzielle Probleme. Heute führen wir ein ganz anderes Leben als damals, wo man wusste: Ich habe nun für 40 Jahre diesen Job, diese Rollenverteilung und damit auch Sicherheit.”
Credit: Karin Fiedler
Für Annette Loers fühlt sich das Leben an wie ein ständiger Spagat zwischen den Kindern und dem Job. Seit sieben Jahren lebt sie mit ihren Kindern (10 und 12 Jahre) allein und ist als Kulturmanagerin voll berufstätig. “Meistens kann ich mir einteilen, wann ich arbeite”, sagt sie. “Es ist trotzdem wahnsinnig anstrengend, denn so gut wie alle wichtigen Termine finden dann statt, wenn die Schule aus ist und die Kinder zu Hause sind.” Ihr ständiges Dilemma: “Allzu oft lasse ich die Kinder allein und ebenso oft lasse ich Arbeit liegen.”
Kinder bräuchten gemeinsam verbrachte Zeit, und zwar mehr als die wertvoll aufgeladenen 15 Minuten am Abend. “Ich soll arbeiten, als ob ich keine Kinder hätte, und umgekehrt für meine Kinder da sein, als ob ich nie arbeiten müsste. Das funktioniert nicht.”
Annette Loers großes Anliegen: “Ich will nicht meine Kinder, meinen Job und mich um die gesellschaftlichen Verhältnisse drumherum drapieren. Ich will, dass Familien ohne weitere Erwähnung mitgedacht werden. Ich will keine Rücksicht und keine Geschenke, ich will einfach keine Behinderung meines wichtigsten ‘Jobs’: intelligente und gut ausgebildete Menschen zu erziehen, die in 20 Jahren für uns arbeiten gehen und diese Gesellschaft weiter tragen.”
Die Geschichten all dieser Mütter zeigen: Nicht nur sind die Erwartungen an Frauen mit Kindern in unserer Gesellschaft absurd hoch und haben wir ein seltsames Bild davon, wie Mütter sich zu verhalten haben.
Auch die Strukturen sind noch längst nicht so, dass es Müttern gelingen könnte, Arbeit und Familienleben zufriedenstellend zu vereinen: Unternehmen sind nicht flexibel genug, was etwa Arbeitszeitmodelle angeht und der Staat stellt zu wenig Betreuungseinrichtungen zur Verfügung.
Die Folge: junge, ehrgeizige, motivierte Frauen, die sobald sie Mutter werden, in einem Strudel aus eigener Verzweiflung und Verachtung von außen gefangen sind.