Eine westliche Touristin erlebt den vom Islam geprägten Alltag

Mit Kopftuch durch den Iran

Katharina Pichler reiste mit ihrem Partner Felix Hoch in einem ausgebauten Mercedes-Kastenwagen überland von München nach Kathmandu. Dabei durchquerte sie im Juni 2012 auch den Iran: von der Hauptstadt Teheran durch die Wüste Dasht-e Kavir nach Isfahan, zu den Ruinen von Persepolis, nach Schiras und Bam. Sie staunten nicht nur über den Zauber Persiens und die Gastfreundlichkeit und Neugierde der Iraner – sondern auch über Vorschriften und Regeln, mit denen Katharina sich zuerst vertraut machen musste.

Ich bin auf der falschen Seite. Auf der Seite der Männer. Der Hinweis «Women only» auf dem Zugfenster ist mir zuvor nicht aufgefallen, und so stehe ich nun inmitten vieler Männer, die sich um mich drängen, und wünsche mich zu den Frauen. Eine fast unsichtbare Linie trennt die Geschlechter im Zuginnern der Metro von Teheran. Übersieht man den Hinweis auf Geschlechtertrennung beim Einsteigen, ist die Verwunderung groß – entweder findet man sich dann als Frau ausschließlich von Männern umgeben oder als Mann umhüllt von Parfümwolken und Geschnatter. Ich spüre die neugierigen Blicke der Männer auf mir und bin zum ersten Mal froh, einen Schleier tragen zu müssen. Nur noch zwei Stationen bis zum Imam-Khomeini-Platz, dann bin ich erlöst.

Des Kaisers neue Kleider

Als wir vor einigen Tagen in Teheran ankamen, war ich mit den Kleidervorschriften für Frauen im Iran noch nicht so vertraut. Ich dachte mir, es sei wichtig, die Kopfhaare zu verdecken und schwarze, lange Kleidung zu tragen. Verglichen mit den schicken Iranerinnen sah ich höchst unansehnlich aus. Auf den ersten Metern in Teherans Straßen fühlte ich mich ziemlich unwohl. Man starrte mich an, es wurde getuschelt und gelacht. «Was ist nur los?», fragte ich mich. Bald wurde mir bewusst: Ich trug keinen Mantel. Po und Schritt zu bedecken, ist im Iran jedoch unerlässlich. Also suchte ich hastig das nächste Mantelgeschäft auf. Dort angekommen, standen mir die Tränen zuvorderst – keine der Angestellten schickte sich an, mir zu helfen, alle starrten mich bloß an. Nachdem ich jedoch mit einem Mantel bekleidet aus der Umkleidekabine kam, lachten mir die iranischen Verkäuferinnen herzlich entgegen.

TextKatharina Hoch
FotografieKatharina & Felix Hoch
MediumGlobetrotter Magazin
Erschienen2015
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Wer schön sein will

In der überlaufenen Metro ist eines nicht zu übersehen: Der Iran ist das Land der Schönheitsoperationen. Viele – und nicht nur Frauen – laufen mit einem weißen Hansaplast auf der Nase herum. Da das Gesicht das Einzige ist, was die Iranerinnen aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Verschleierung zur Schau stellen können, sind Nasenkorrekturen sehr beliebt. Aber nicht nur so versuchen diejenigen Frauen, die nicht streng gläubig sind, aufzufallen. High Heels, Lippenstift, Schmuck, knallige Farben, gefärbte Haare und Kopftücher, die nach hinten rutschen und so den Blick auf Haaransätze freigeben – das ist die Realität, vor allem in den Großstädten. Dass es fast 40 Grad heiß ist, ist in der Metro schnell vergessen, hier läuft die Klimaanlage auf Hochtouren. Für mich ist unvorstellbar, wie es die Frauen in den Sommermonaten in ihren Tschadors aushalten – mir jedenfalls läuft der Schweiß in Strömen herunter. «Es ist eine Tortur für unsere Frauen», sagt Navid. Er ist in den letzten Tagen unser Freund geworden. Mit seiner lustigen, lockeren Art, seiner Höflichkeit und Schüchternheit, seiner Dankbarkeit und Traurigkeit berührt er mich sehr. 

Navid wartet schon lange auf sein Visum für Deutschland, denn er möchte in der Nähe von Aachen studieren. Seine Freundin hat es bereits geschafft und ist seit ein paar Monaten in Saarbrücken. Alles, was mit Deutschland zusammenhängt, liebt er. Auf dem Desktop seines Computers erscheint ein Bild des Fussballspielers Schweinsteiger. «Denkt ihr, es ist möglich, das Team von Bayern München in Deutschland zu treffen?», fragt er. Wenn er in München ist, will er die Mannschaft unbedingt beim Training besuchen. Navid erzählt, dass er den Iran noch nie verlassen hat. Unsere Gespräche wechseln zwischen Themen wie unserem Musikgeschmack und der grünen Revolution von 2009. Navid war dabei. Das Mädchen, das dort getötet und zum Gesicht der Revolution wurde, war eine entfernte Bekannte von ihm. Navid glaubt nicht, dass es bald wieder zu Aufständen kommen wird, denn die Menschen sind noch zu sehr verletzt, und eigentlich will jeder nur seine Ruhe. «Ich habe nur ein Leben. Warum sollte ich es aufs Spiel setzen?» Er will nach Deutschland, sich ein neues Leben aufbauen, dort vielleicht für immer bleiben.

Oh du schönes Teheran

Teheran ist die moderne Hauptstadt des Iran und zählt 15 Millionen Einwohner. Trotz Chaos und Hitze liebe ich diese Stadt. Drei Tage Aufenthalt sind geplant – wir bleiben schlussendlich zehn. Beim Schlendern über den Basar lassen wir uns von Teppichhändlern um den Finger wickeln, besuchen die Imam-Khomeini-Moschee während des Freitagsgebets, bestaunen eine der vielen Kunst- und Fotoausstellungen und trinken im Studentenviertel gemeinsam mit jungen Teheranern ein alkoholfreies Bier. Alkohol ist im Iran verboten. Eines Abends werden wir von einer iranischen Familie zum Picknick eingeladen. Da kommt mir zugute, dass ich bereits beim Grenzübergang von der Türkei in den Iran nicht nur andere Kleidung angezogen, sondern mir auch einen «Ehering» angesteckt habe. 

Meine beste Freundin hat ihn mir vor der Reise gegeben. «Als Schutz», wie sie so schön sagte. Die Frauen kommen mit mir in unser Auto, wollen sich das Innenleben ansehen. Plötzlich nehmen sie ihre Eheringe ab und zeigen sie mir ganz stolz. Auch die Gravur. Auweia – ich weiß gar nicht, ob meiner auch graviert ist. Mein Herz klopft, denn ich befürchte, eine Inschrift würde meine Notlüge aufdecken. Aber mein Ring ist blank. Ein ganz einfacher Ring. Die Iranerinnen sind fast ein bisschen enttäuscht – zu wenig «Bling-Bling» konstatieren sie. Ich bin jedoch unglaublich erleichtert, als wir das Thema wechseln und ich keine weiteren Lügengeschichten mehr erfinden muss.

Sittenpolizei und Gastfreundschaft

Auf dem Weg zu «Baame Tehran» – oder auch «Dach von Teheran» – einem Berg im Norden der Stadt – passiere ich mit Daryaa und ihrer Freundin Nasrin die Sittenpolizei. Männer und Frauen, islamisch korrekt gekleidet, stehen am Straßenrand und werfen jedem Ankömmling kritische Blicke zu. Dass jemand wegen zu lockerer Kleidung eine Nacht im Gefängnis verbringen muss, ist keine Seltenheit. Die beiden Iranerinnen ziehen sich ihre Kopftücher etwas tiefer ins Gesicht, und ich blicke angespannt nach vorne. Bloß keinen Augenkontakt herstellen. Wir dürfen weiterfahren. Es macht den Anschein, dass das Wort «kontrovers» aus dem Iran stammt, denn dieses Land besteht aus zwei parallelen Welten. Die eine spielt sich vor und die andere hinter der Haustür ab. Sobald die Tür ins Schloss fällt, fällt in den meisten Häusern auch der Schleier. Es wird gelacht, getrunken und Musik gehört. Nicht wenige führen hinter verschlossenen Türen ein Leben wie wir im Westen. Beim halbstündigen Spaziergang zur Spitze des kleinen Berges, wo sich ein beliebter Treffpunkt für junge Teheraner befindet, ist die Sittenpolizei vergessen und die Stimmung wieder gelöster. 

Die Aussicht von oben ist grandios, besonders bei Nacht. Als wir uns an einem der vielen Essensstände ein Stück Pizza holen, wird das Verständnis der Gastfreundschaft wie so oft deutlich: «Ihr seid meine Gäste», versichert Daryaa und zahlt. So sehr ich mich auch anstrenge, Daryaa lässt nicht zu, dass ich selbst bezahle. Mit den wenigen Touristen, die den Iran bereisen, sind wir uns stets einig: Die Gastfreundschaft in diesem Land ist überwältigend. So ausgeprägt haben wir das auf unserer bisherigen Reise noch nirgends erlebt. Sicherlich wäre es möglich, einige Wochen als Tourist durch dieses wunderbare Land zu reisen, ohne jemals in einem Hotel unterkommen zu müssen. Vor allem Touristen, die den Iran mit dem Fahrrad oder per Anhalter erkunden, berichten von unzähligen Einladungen, die ihnen gegenüber ausgesprochen wurden. Wild campen, ist in vielen Regionen auch kein Problem. Bis auf das Gebiet Belutschistan im Südosten ist der Iran derzeit ein sicheres Reiseland. Natürlich muss die aktuelle Sicherheitslage vor jeder Reise abgeklärt werden.

Wüstendurchquerung

Der Iran hat zwei Wüsten. Die Dasht-e Kavir im Norden und die Dasht-e Lut im Süden. In Semnan – circa 200 Kilometer östlich von Teheran – starten wir die Durchquerung der Dasht-e Kavir. Zuerst fahren wir in Richtung Mo’alleman und dann weiter nach Nain. Die Straße ist meist gut geteert und zweispurig. Vierradantrieb ist nicht nötig. Von einem Ende der Wüste zum anderen zu reisen ist wahrlich ein Erlebnis. Auch wenn es hier eigentlich «nichts» gibt, ändern sich die Landschaftsbilder in der Kavir-Wüste doch enorm: von schroffen Berglandschaften über trockene Ebenen mit Büschen zu trockenen buschlosen Flächen bis hin zur Sandwüste. Das Vehikel für die fast 500 Kilometer lange Fahrt muss selbstverständlich fit sein, denn bis auf wenige LKW und die eine oder andere Kamelherde kommt uns kaum jemand entgegen. 

Wir verbringen eine Nacht unter dem Sternenzelt und sind überwältigt. Unendliche Stille und das Universum so nah. Unvergesslich. Da ich mich in der Wüste wie der einzige Mensch auf Erden fühle, lege ich den Schleier trotz der rigorosen Vorschriften ab. Das Tragen des Kopftuchs ist im Iran überall Pflicht. Die Straße ist in beide Richtungen menschenleer, kleine Windböen wirbeln Sand in die Luft, Stille umgibt uns. Doch plötzlich taucht ein Polizeiauto mit zwei Polizisten auf. «Wir sind im Iran. Bitte bedecken Sie Haare und Körper!» Und das mitten in der Wüste bei 50 Grad. Skurril. Für Touristinnen wie mich bleibt es gewöhnlich bei einer Verwarnung. Die Polizisten düsen mit einem Augenzwinkern davon, und ich bin unglaublich erleichtert.

1001 Nacht in Isfahan

Wieder in der Zivilisation angelangt, erwartet uns Isfahan, die Perle Persiens. Im Gegensatz zu Teheran ist die Stadt klein, überschaubar, sauber und touristisch. Hier komme ich mir wahrhaftig vor wie in den Erzählungen aus 1001 Nacht: Moscheen, Märkte, Parkanlagen, historische Hotels und Restaurants – alles ist wunderschön und gepflegt. Riesige Kuppeln und Säulen mit stilvollen Mosaikverzierungen ziehen uns immer wieder in ihren Bann. Die Einwohner Isfahans erscheinen mir noch schicker als die restlichen Iraner. Der Imam-Platz hat abends besonderes Flair: Ein großer Brunnen in der Mitte, flankiert von der atemberaubenden Imam-Moschee, kleine Grünflächen, das Hufgeklapper der Pferdekutschen, Lichter ringsum und jede Menge Iraner beim Picknicken. Tagsüber erscheint der Platz menschenleer, abends herrscht jedoch viel Trubel. Die Imam-Moschee ist laut etlicher Reiseführer eine der schönsten Moscheen der Welt. Daran zweifle ich nicht, denn sie ist durchaus ein Meisterwerk. Allerdings nicht das Einzige. Sehenswert sind auch die Hakim- und die Jameh-Moschee. 

Für ein Mittagsschläfchen ist der Park südwestlich des Imam-Platzes ideal. Dort strecken wir uns im Gras unter einem der vielen Bäume aus und schauen den Menschen bei ihrer Lieblingsbeschäftigung zu – dem Picknicken. Oder wir entspannen uns im Teehaus am Ufer des Zayandeh-Flusses. Wer auch beim Abendessen vom Zauber Isfahans noch nicht genug hat, geht ins Sofreh Khane Sonati am Imam-Platz. Im Schneidersitz zu essen, mag nicht jedermanns Sache sein, jedoch ist das «Takht» – das Podium, auf welchem gespeist wird – Tradition und erhöht zudem die 1001-Nacht-Atmosphäre. Durch die farbenprächtigen Fensterläden blicken wir auf einen der Innenhöfe des Basars und genießen verschiedene Fleischspieße mit Reis, dazu Joghurt, Salate und Nan – iranisches Fladenbrot. Mein Leibgericht hier heißt «Mirza Ghasemi» – zerdrückte Auberginen mit Tomaten, Eiern und viel Knoblauch. Selbst wem nicht nach Essen ist, sollte hier zumindest auf ein Glas Schwarztee und ein paar Datteln vorbeischauen.

Persische Höflichkeit

«Sind Sie aus Deutschland?», fragt uns der Taxifahrer auf dem Weg vom Sonati zurück ins Hotel. Ahmed erzählt in gebrochenem Deutsch, dass sein Bruder in Düsseldorf lebt. Auch er würde gerne nach Deutschland reisen, hat aber bis jetzt kein Visum bekommen. «Die denken, ich gehöre der Hisbollah an, ich sei ein Terrorist!», sagt er lachend. Beim Aussteigen hält er ein schmales Buch in die Höhe mit dem Titel «Die 10 besten Haushaltstipps» – seine Deutschlektüre. Iranische Taxifahrer halten nicht nur liebend gerne einen Plausch, sondern sprechen oftmals unverzüglich eine Essenseinladung aus. Auch wenn die Verständigung häufig schwerfällt, ist die Geste der Nahrungsaufnahme doch recht klar. Mit Händen und Füssen zu kommunizieren, ist für uns normalerweise kein Problem. Hier ist das anders. Sehr oft ernten wir ein «Was? Ich verstehe nichts!». Auch haben die Iraner keine Hemmungen, fröhlich auf Farsi loszulegen. Selbst wenn wir ankündigen, kein Farsi zu sprechen, spricht unser Gegenüber dennoch in seiner Muttersprache einfach etwas langsamer und lauter. Bei der nächsten Taxifahrt lädt uns Nasser zum Essen ein. Wir freuen uns, endlich die iranische Hausmannskost kennenlernen zu dürfen, und nehmen dankend an. Bei der Verabschiedung wollen wir uns für den Abend fest verabreden und unsere Nummern austauschen. 

Aber Nasser ruft freundlich lächelnd «Ich wünsche euch einen schönen Tag» durch die halb geöffnete Fensterscheibe und gibt Gas. «Wie bitte? Haben wir die Einladung zum Essen etwa falsch interpretiert?» Nein, haben wir nicht. Doch wir haben uns nicht an die Regeln von «Taarof» gehalten. Die Erklärung für diese Höflichkeitsfloskel ist in den meisten Reiseführern zu finden. Informiert man sich vor der Reise, dann wundert man sich auch nicht, wenn der Taxifahrer bei der Frage nach den Fahrtkosten mit vehementer Geste abwinkt. Denn auch das ist«Taarof». Das bedeutet keineswegs, dass er kein Geld will. Er will es – nimmt es aber erst nach zwei- bis dreimaligem Anbieten an. Nach dem Motto: «Ich habe es zwar nicht nötig, aber gut, dann nehme ich es halt.» Auf ähnliche Weise verhält es sich auch mit Essenseinladungen. Iraner stehen für ihre Gastfreundlichkeit und laden einen auch ein, wenn sie es sich vielleicht gar nicht leisten können. Als Eingeladener muss man dem Gastgeber laut «Taarof» die Möglichkeit geben, sich noch zurückziehen zu können. Deswegen gewöhnen wir uns an, jede Einladung mindestens zweimal mit «Nein danke» zu beantworten. Besteht der Gastgeber dann immer noch darauf, uns einzuladen, meint er es wirklich ernst.

Reise in die Vergangenheit

Es gibt vermutlich nur einen Ort im Iran, an dem sich mehr Touristen aufhalten als in Isfahan – und der heißt Persepolis. Die Ruinen von Persepolis, die 50 Kilometer nordöstlich von Schiras liegen, sind der Inbegriff des persischen Reiches. Bevor Alexander der Große die Palastanlage 330 v. Chr. von seinen Truppen zu Boden reißen ließ, war sie das Juwel des Orients und der ganze Stolz der Perser. 200 Jahre vor Alexanders Angriff von dem Achämenidenkönig Darius errichtet, stellte Persepolis das religiöse und kulturelle Machtzentrum des persischen Reiches dar. Eine breite Straße führt zum Eingang des antiken Palastes. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie Alexanders Truppen dort einmarschiert sind. Pferdegewieher, Menschengeschrei, Hitze, Staub, Aufregung, Angst. Heute ist Persepolis eine Touristenattraktion, auch bekannt aus dem gleichnamigen französischen Zeichentrickfilm aus dem Jahr 2007. Allzu viel ist nicht mehr übrig von Persepolis, allerdings ist das wenige von solcher Präzision und Schönheit, dass es uns staunen lässt.

Auch wenn ich mir Persepolis eindrücklicher und besser erhalten vorgestellt habe, bin ich doch sehr beeindruckt. In mir breitet sich eine tiefe Ehrfurcht gegenüber diesem historischen Ort aus. In Schiras befinden sich die Mausoleen der Dichter Hafis und Saadi. Neben dem Koran hat angeblich jeder Iraner ein Buch von Hafis in seinem Haus. Gedichte sind ein wichtiger Bestandteil im Leben der Iraner. Hafis, Saadi, Firdausi, Rumi und Omar Chayyam – das sind die Namen der großen persischen Poeten. Das Mausoleum von Hafis wird jeden Abend zum Pilgerort. Unzählige Leute möchten den steinernen Sarg bestaunen. Ich genieße es, einfach nur auf einer Bank unter Orangenbäumen zu sitzen und den Gedichten aus den Lautsprechern lauschen. Ach, verstünde ich nur Farsi! Auf der Bank neben mir sitzt ein alter einheimischer Mann mit grauem Haar, leicht gekrümmtem Kreuz, weißem Hemd und Hosenträgern. Er blickt ins Leere und horcht. Ein schönes und trauriges Bild zugleich.

«Can I talk to you?»

Rund um den Hauptplatz in Schiras tänzeln die Einheimischen ständig um uns herum. Ich übertreibe nicht – jeder will Kontakt mit uns aufnehmen. Manchmal erwische ich mich beim typischen Deutschsein. «Was will der von mir? Bestimmt wittert er ein Geschäft – oder will womöglich sogar klauen.» Dies ist natürlich nicht der Fall. Die Leute wollen Englisch üben und mehr über unser Herkunftsland erfahren. Persönliche Fragen wie «Seit wann seid ihr verheiratet? Wart ihr davor schon verliebt? Habt ihr Kinder? Warum nicht? Aus welcher Stadt kommt ihr? Wie ist es da? Was denkt ihr über den Iran?», folgen oft rasch aufeinander. Ich komme kaum zum Antworten. Fast zwei Stunden lang unterhalten wir uns mit einem 19-jährigen afghanisch-iranischen und einem 29-jährigen iranischen Studenten. 

Vor allem das Finden einer passenden Ehefrau ist für die beiden ein essenzielles Thema. Sie gestehen uns, andauernd an Mädchen denken zu müssen, denn sie seien ja immer von ihnen getrennt. «Meine Mutter wird die richtige Frau für mich finden», erklärt der Ältere der beiden. Seine Frau soll wie eine beste Freundin sein und am liebsten aus seinem Dorf kommen. So kann er sicher sein, dass sie beide auf einer Wellenlänge sind. Außerdem möchte er gerne nach Australien auswandern. Als ich ihm zum Abschied die Hand reiche, weicht er irritiert vor mir zurück: «Händeschütteln mit Frauen ist für uns nicht üblich.» Ich bin verunsichert und leicht beschämt. Auf mein Nachfragen erklären sie mir, dass dieses Verhalten als eine Geste des Respekts meinem Partner gegenüber verstanden wird.

Vorurteile adé

Der Iran ist für mich wie für Felix eine andere Welt: Islam, Kopftuchpflicht, kontrollierte Medien und dadurch Isolation von der Außenwelt, streng muslimische Verhaltensweisen, Alkoholverbot. All das erschien uns im Vorfeld unserer Reise fremd und machte uns auch ein bisschen Angst. Zudem hat man aufgrund der medialen Berichterstattung negative Bilder im Kopf, wenn man an den Iran denkt. Doch bereits in den ersten Tagen unseres Aufenthaltes lösten sich alle falschen Vorstellungen und Unsicherheiten in Luft auf. Noch nie habe ich so viel Gastfreundschaft erfahren, noch nie so viel Offenheit und Neugierde. Noch nie hat mich ein ganzes Volk so sehr berührt. Und doch bin ich froh, mit meinem Partner unterwegs zu sein. 

Als allein reisende Frau eine Unterkunft zu finden, wäre bestimmt nicht immer einfach. Von anderen Reisenden erfahren wir, dass manchmal keine Zimmer mehr frei sind, wenn eine allein reisende Frau in einem Hotel ankommt – Männern oder Paaren wird jedoch noch Platz angeboten. Von streng muslimischen Männern werde ich häufig ignoriert, meine Fragen werden nicht beantwortet, selbst wenn – oder wohl eben gerade weil – ich sie direkt anspreche. Mein Reisealltag in diesem Land wäre eine deutlich größere Herausforderung geworden, wäre ich ohne Felix unterwegs: Ich würde viel mehr Zeit für das Suchen nach Unterkünften, Finden von Wegen, Sehenswürdigkeiten und Supermärkten benötigen.

Starkes Bam

Die letzte Station auf der Reise durch den Iran ist die Wüstenstadt Bam am südlichen Zipfel der Wüste Dasht-e Lut. Zuerst stechen uns die zahlreichen Dattelpalmen ins Auge, denn von hier wird ein großer Teil der berühmten iranischen Datteln exportiert. Die Bamis sprechen den Datteln sogar potenzsteigernde Kräfte zu. Die Früchte sind sehr nahrhaft und unglaublich köstlich. Zwischen den Palmen und Häusern erkennen wir die Überreste der Katastrophe, welche Bam 2003 heimsuchte. An einem frühen Morgen im Dezember erschütterte ein Erdbeben der Stärke 6,8 die kleine Stadt. Innerhalb weniger Sekunden starben mehr als 30 000 Bamis. Auch das Wahrzeichen Bams, die Zitadelle «Arg-e Bam», wurde dabei fast komplett zerstört. Die größte Lehmstadt der Welt zerfiel innerhalb weniger Sekunden zu Staub. Nach fast neun Jahren ist Bam aus den Ruinen auferstanden, und ein großer Teil des «Arg-e Bam» steht wieder. Der Charme einer 2000 Jahre alten Ruine ging beim Wiederaufbau der Zitadelle leider verloren, sie ist aber immer noch atemberaubend und absolut sehenswert. 

Neben der Besichtigung der Ruinen gibt es noch ein weiteres Muss in Bam: Akbar’s Guest House. Der Besitzer Akbar erscheint wie ein Zauberer aus dem Film Harry Potter, der einem ständig tolle Weisheiten zuflüstert. Er hat beim Erdbeben 81 Familienmitglieder und Freunde verloren und danach alles von Neuem aufgebaut. Er strotzt nicht nur von unbändiger Willenskraft, sondern besitzt auch einen erfrischenden Humor. «Ich bin aus Kalifornien», sagt er in überzeugendem Englisch bei der Begrüßung. Bis sein verschmitztes Lächeln aufblitzt, glauben wir das auch. Schnell lernen wir, dass Akbar nicht immer alles ernst meint. Sein ganzer Stolz sind seine Gästebücher der letzten Jahrzehnte, die er bei dem Erdbeben glücklicherweise retten konnte. Er hat sie sozusagen in letzter Sekunde aus den Trümmern gezogen. Als ich die Seiten mit all den Fotos und Einträgen von Menschen unterschiedlichster Nationen durchblättere, steigt die Vorfreude auf neue Reiseerlebnisse und Begegnungen. Und Akbar, die gute Seele, strahlt so viel Zuversicht aus, dass die Weiterreise nur gut kommen kann. Inschallah – so Gott will.

Mehr Fotos zur Reise durch den Iran findet ihr hier.